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Fuchs2 erkundet die Klassik - war: Vorstellung (und Frage zu Beethovens Violinkonzert)

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fuchs2
Stammgast
#1 erstellt: 23. Dez 2011, 03:21
Hallo allerseits,

ich schätzte diese Forum bisher sehr als schnelle kompetente Infoquelle für HiFi-Fragen. Jetzt, da ich mich zum ersten Mal überhaupt mit klassischer Musik beschäftigen will, bin ich auf den hiesigen Klassik-Bereich gestoßen, und ja, ich bin begeistert von der Aktivität der Teilnehmer, der Fülle der Themen und dem Tiefgang der Diskussionen.

Ich selbst habe keinerlei theoretisches Musikwissen, Noten sind für mich Kleckse zwischen Linien auf Papier, und meine Höchstleistung an eigenem Musizieren ist "Alle meine Entchen" mit einem Finger und nur wenigen Fehlern auf dem Klavier. Mein bisheriger Musikgeschmack bewegt sich in den Gefielden der Popmusik mit Präferenz für Rock/Metal, Trip-Hop, intelligente und/oder schräge elektronische Musik (gerne DnB-lastig), etc.
Ganz toll finde ich es oft, wenn auch in der Popmusik Streicher als Gestaltungselemente eingesetzt werden. Zum Beispiel bei Björks "Yoga", einem meiner absoluten Lieblingslieder. Soviel zur Vorgeschichte, damit ihr mich einschätzen könnt. :-)

Mein Zugang zur Klassik ist wenige Wochen jung und verläuft recht geplant: Erstmal bei Wikipedia einlesen. So. Jetzt habe ich die Zeitlinie: Barock, Wiener Klassik, Romantik, Moderne. Also fange ich bei der Wiener Klassik an. Beethoven, Haydn, Mozart. Sinfonien sind wichtig? Alles klar. Das ist dann fürs erste meine Hauptrichtung, und nebenbei höre ich mir an, was mir sonst noch interessant erscheint. Mit diesem Wissen und (nicht nur) mit Kauftipps aus dem Forum habe ich mir die ersten CDs besorgt.

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Intensiv gehört habe ich aber erst Beethovens Sinfonien und die Sinfonien von der Haydn-CD. Gefällt mir gut. Und Smetana. Gefällt mir auch. Und Beethovens Violinenkonzert, das mir auch zusagt, dazu habe ich dann unten noch eine Frage.

Noch zu wenig für eine Beurteilung habe ich die Carmina Burana gehört (ich vermute, am Ende werden die mir womöglich zu "gesangslastig" sein), und die Planeten von Holst. Das Violinenkonzert Op. 64 von Mendelssohn und Sibelius-Finlandia habe ich noch gar nicht angehört.

Weitere Anschaffungen sind schon so gut wie bestellt:



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Zu den Cellokonzerten, da gibts bei Amazon eine CD von 1998 für 24 Euro und eine von 2008 für 12 Euro, die identisch zu sein scheinen. Weiß jemand, was das soll?

Wenn ich dann bald einen ersten groben Eindruck von den Sinfonien von Beethoven/Haydn/Mozart habe, würde ich mit anderen wichtigen Gattungen dieser Komponisten dieser Epoche weitermachen.
Und dann mal sehen, wie es weitergeht. Ich glaube, ich mag Streicher, ich mag Harmonisches und auch Dramatisches. Ich glaube, Klavier und Gesang spricht mich eher weniger an, aber das wird sich zeigen.
Generell finde ich den Klang von Violinen wunderschön, aber machmal haben diese Instrument auch eine sehr schrille und schräge Wirkung auf mich.

So, dann würde mich interessieren, was ihr von meiner "Anfänger-CD-Auswahl" haltet, und wie ihr meine Vorgehensweise beim Herantasten an die Musik findet.

Meine Frage zu Beethovens Violinenkonzert: Auf der oben angegebenen CD klingt die Solovioline gerade so in den letzten 5 Minuten des ersten Satzes für mich ziemlich schräg, rauh, kratzig. Wenn ich mir das dann aber auf Youtube ansehe
http://www.youtube.com/watch?v=yML_dFqMOqE&feature=related
stelle ich fest, dass es dort irgendwie viel klarer, harmonischer klingt. Kann mir das jemand erklären? Liegt das einfach an der Interpretation oder den Künsten bzw. Vorlieben des Violinisten?

So, nun noch ein CD-Tipp. Nicht genuin klassisch, sondern der Soundtrack zum Film "Alles, was wir geben mussten." Ganz wunderbare, ruhige, verträumte Streicherklänge.
Viele Grüße, fuchs2

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[Beitrag von fuchs2 am 23. Dez 2011, 05:28 bearbeitet]
Joachim49
Inventar
#2 erstellt: 23. Dez 2011, 05:00
Hallo Fuchs2,
In den letzten 5 Minuten des 1. Satzes von Beethovens Violinkonzert hörst Du die Kadenz, erst ganz am Schluss spielt auch das Orchester wieder. Die Kadenz wird von der Geige allein gespielt und ist relativ häufig nicht vom Komponisten. Beethoven hat für sein Violinkonzert keine Kadenz komponiert. Meistens werden die Kadenzen von Kreisler oder von Joseph Joachim gespielt, beide berühmte Geiger (vielleicht ist auf der CD ein Hinweis welche Menuhin spielt). Die Kadenz stellt hohe Anforderungen an den Solisten und er kann leicht an die Grenzen seines Könnens stossen. Bei den Doppelgriffen in hohen Lagen, also dem gleichzeitigen Spiel auf mehreren Saiten merkt man auch kleine Unsauberkeiten sofort. Ob sie Menuhin unterlaufen weiss ich nicht.
Was die Auswahl betrifft: mit den gewählten Stücken zu beginnen ist sicher okay. Du kannst Dich dann weiter zurück (Barock) oder nach vorn (Romantik) weiterbewegen, bzw. andere Genres einbeziehen. Die Auswahl der Interpreten scheint mir eher blind, ohne Kriterien, vorgenommen zu sein, wobei mit klar ist, dass es für einen Anfänger unmöglich ist, Auswahlkriterien zu haben (und nicht nur für Anfänger!). Gerade bei den Interpreten gibt es ja hier auf dem Forum deutliche Meinungsverschiedenheiten, die einen schwören bei Beethoven etwa auf Karajan, und andere verabscheuen ihn.
Es gibt hier auf dem Klassik Forum 2 threads mit Empfehlungen. Einer wendet sich an Hörer die auch hohe Anforderungen an die technische Qualität stellen, der andere nicht. Allerdings ist der zweite so gut wie eingeschlafen.

Blomstedt ist ein grundsolider Dirigent, der vornehmlich als Brucknerdirigent grossartiges leistet. Sein Beethoven ist wahrscheinlich etwas zu brav. Viele hier auf dem Forum würden wahrscheinlich Aufnahmen auf historischen Instrumenten empfehlen (etwa Gardiner, Norrington oder Hogwood) oder moderne Interpretationen die durch die historische Praxis beeinflusst sind (etwa Järvi oder Zinmann). Die Karajan Fans würden weder das eine noch das andere empfehlen aber könnten sich wahrscheinlich für Thielemann begeistern.

Die Kombination Haydn-Bernstein ist okay, es sei denn, dass man auf historische Spielpraxis und Instrumente schwört. In diesem Fall geniesst Frans Brüggen hohe Wertschätzung.

Die 'Mein Vaterland' Aufnahme mit Wit und dem polnischen Orchester ist mir unbekannt. Das Beethoven Violinkonzert mit Furtwängler-Menuhin ist sehr berühmt. Warum dies der Fall ist, weiss ich nicht. Wahrscheinlich weil die Interpreten nun einmal berühmt sind. Es gibt endlose Debatten über korrekte Tempi in diesem Konzert, das meist zu langsam zelebriert wird.

Holst kenn ich kaum, aber Previn ist für einen Schlager wie die Carmina Burana gewiss keine Fehlinvestierung. Ich bin kein Karajan Fan aber für Sibelius ist er gewiss eine gute Wahl.
Die Kombination Mozart-Böhm galt jahrzehntelang als ideal und hunderttausende Musik- und Mozartliebhaber werden sich wohl nicht völlig getäuscht haben, aber vielen erscheint heute dieses Mozartspiel wohl als zu ausgewogen. Den Jochum'schen Haydn kenne ich nicht.
Ich würde Dir empfehlen, vor dem Kauf Hörschnipsel verschiedener Interpretationen zu begutachten. Bei jpc oder amazon kann man in der Regel die erste Minute (oder 30 sek.) hören. Das kann ein bisschen helfen. Natürlich kannst Du hier um Rat fragen, aber wenn Du 10 Antworten bekommst, werden es meist 10 verschiedene sein.
Auf jeden fall solltest du bald deine Haydn Cellokonzerte hören, weil du dann einen Eindruck der historischen Aufführungspraxis bekommst, die von manchen hier gepriessen und von anderen gehasst wird. Dein eigener Geschmack wird wahrscheinlich im Lauf der Zeit durch Interpretationsvergeiche reifen (die erfordern allerdings Zeit und Geld).
Dass dieselben Aufnahmen für sehr unterschiedliche Preise angeboten werden ist keineswegs ungewöhnlich. Die Preise schwanken sowohl im Lauf der Zeit, als auch zwischen den Anbietern erheblich. Viele Aufnahmen werden zunächst zum Hochpreis und später als midprice oder budget angeboten, aber bleiben gleichzeitig im Angebot. Der Unterschied betrifft nur die Aufmachung.
Freundliche grüsse
Joachim

(Es heisst zwar Flöten- oder Trompetenkonzert, auch wenn nur eine Flöte oder Trompete den Solopart spielt, aber ein Konzert für eine Sologeige und Orchester ist ein Violinkonzert. Warum das so ist, weiss ich auch nicht. Merkwürdigerweise schreiben auch auf dem Violinforum manche Geiger 'Violinenkonzert'. Aber richtig ist das (noch) nicht, auch wenn Fehler, die sich einbürgern manchmal als korrekt angesehen werden. )
Martin2
Inventar
#3 erstellt: 23. Dez 2011, 19:04
Hallo Fuchs 2,

es ist richtig, Beethoven hat für das Violinkonzert keine Kadenzen geschrieben. Er hat sein Violinkonzert allerdings für Klavierfassung umgeschrieben ( diese Fassung ist weniger bekannt) und für diese Klavierfassung existieren von Beethoven komponierte Kadenzen. Diese Kadenzen für die Klavierfassung sind dann wieder für Violine umgeschrieben worden. Wenn ich mich nicht irre, hat sie Schneiderhan gespielt, möglicherweise auch andere, immerhin läge es auch nahe, da man auf diese Weise immerhin auf Beethoven selber zurückgriffe. Mir war das unklar, daß die Kadenzen von Joachim und Kreisler meistens gespielt würden, ich dachte eigentlich immer, daß man auf Beethovens eigene Kadenzen zurückgriffe. Aber so kann man sich täuschen.

Ansonsten herzlich willkommen hier. Deine Musikauswahl gefällt mir nicht schlecht. Blomstedts Beethoven höre ich recht gerne, vielleicht mit Ausnahme der 3. und 9., obwohl auch die hörbar sind. Jedenfalls was grundsolides, wie Joachim auch fest gestellt hat und mir ist dieser Beethoven sympathisch. Joachims Ausführungen möchte ich hinzu fügen, daß die sogenannte historische Aufführungspraxis, meist auch kurz HIP genannt, bei Beethoven besonders entscheidend ist, weil es zu den Sinfonien von Beethoven ( auch wohl zum Violinkonzert) Beethovensche Metronomzahlen gibt. HIP Aufführungen versuchen diese zu berücksichtigen, auch Zinman, der mit modernen Orchesterinstrumenten spielen läßt, berücksichtigt sie.

Im übrigen mein Hinweis, nicht allzuviel Naxos zu kaufen ( obwohl sich das nicht generalisieren läßt). Die Interpreten, speziell die Orchester, sind oft zweite Wahl und im Standardrepertoire gibt es anderes, was auch billig ist. Anderseits werden viele Naxossachen bei Amazon Marketplace next to nothing angeboten, was natürlich auch verführerisch ist. Anderseits kenne ich den Smetana und Holst von Naxos nicht, mag also natürlich trotzdem recht gut sein. Ist aber alles jetzt nicht so wichtig, Hauptsache Du hast Spaß an der klassischen Musik.

Gruß Martin
Pilotcutter
Administrator
#4 erstellt: 23. Dez 2011, 19:40

Martin2 schrieb:
Diese Kadenzen für die Klavierfassung sind dann wieder für Violine umgeschrieben worden.


Das Thema um die Kadenzen zum Beethoven Viollinkonzert sind wirklich abendfüllend. Wenn Dich die verschiedenen Kadenzen interessieren, seien noch 2 interessante Einspielungen von Gidon Kremer erwähnt. In den 70ern hat Alfred Schnittke noch eine Kadenz für das VK komponiert Beethoven Schnittke Kadenz ab 02:44 Das findet man auf dieser Einspielung:

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Darüberhinaus gibt es noch eine Gidon Kremer Aufnahme unter Harnoncourt, wo die ursprüngliche Beethoven Kadenz des Klavierkonzerts auch original mit einem Flügel - hinterm Orchester plaziert - eingespielt wird. Es müsste diese Aufnahme sein:

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Gruß. Olaf


[Beitrag von Pilotcutter am 23. Dez 2011, 20:00 bearbeitet]
blitzschlag666
Hat sich gelöscht
#5 erstellt: 23. Dez 2011, 19:51
diese einspielung des violinkonzerts sollte mMn nicht unerwähnt bleiben.

heifetz spielt die kadenzen von joachim und auer. doch vorsicht. diese version war für mich der einstieg ins violinkonzert und ich werde mit anderen einspielungen einfach nicht warm. diese ist technisch auf höchstem niveau und das tempo ordentlich.

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Schneewitchen
Inventar
#6 erstellt: 23. Dez 2011, 21:24
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Kopatchinskaja spielt in dem Violinkonzert von Beethoven die Kadenz von Beethoven aus der Klavierfassung des Violinkonzertes.
op111
Moderator
#7 erstellt: 24. Dez 2011, 14:35

blitzschlag666 schrieb:
diese einspielung des violinkonzerts sollte mMn nicht unerwähnt bleiben.
... ["Heifetz BSO Charles Münch" Anm. op111] ...
heifetz spielt die kadenzen von joachim und auer. doch vorsicht. diese version war für mich der einstieg ins violinkonzert und ich werde mit anderen einspielungen einfach nicht warm. diese ist technisch auf höchstem niveau und das tempo ordentlich.


Noch kompromissloser, klassischer und näher an den originalen Tempi (lt. Rudolf Kolisch "Tempo und Charakter in Beethovens Musik ") ist nach Meinung der Fachwelt die Einspielung von Heifetz, NBC Symphony O. Toscanini (1940), die kaum in gängige Romantizismen abgleitet:

Derzeit wohl nicht bei der RCA im Programm:

jpc.de


jpc.de

Neben der grandiosen Einspielung von Patricia Kopatchinskaja Kopatchinskaja, Patricia (Violine) - der ungeschliffene Diamant #33 sind für mich Heifetz' Aufnahmen der Maßstab, an dem ich Einspielungen messe.

@olaf
Kremer / Harnoncourt habe ich noch in der älteren Ausgabe, es sollte sich aber um die gleiche Aufnahme handeln. Das Klavier so stark zu verhallen ist m.E. ein Missgriff dieser sonst so erfreulichen Aufnahme.


[Beitrag von op111 am 24. Dez 2011, 14:40 bearbeitet]
Kreisler_jun.
Inventar
#8 erstellt: 24. Dez 2011, 17:07
Die bei Kremer/Harnoncourt verwendete Bearbeitung der Bearbeitung der Kadenz (so dass plötzlich aus dem Nichts ein Klavier dazustößt) finde ich ziemlich idiotisch.
Meine Top-Empfehlung für das Konzert, die mich wirklich für das Stück erneut begeistern konnte ist Zehetmair/Brüggen. Da die obendrein nun sehr günstig zu haben ist, würde ich die ohne Vorbehalte empfehlen.
Vorher waren die beiden mit Heifetz meine Favoriten, von denen die mit Toscanini aber klanglich nicht sehr befriedigend ist.

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Haydn/Jochum ist gut (wobei ich die nur teilweise kenne); ich weiß auch keine naheliegende preiswerte Alternative. Die Mozartsinfonien mit Böhm halte ich selbst für weitgehend überschätzt, für den Preis zum Kennenlernen aber wohl o.k. (Vielleicht zum Test mal in Klangbeispiele anderer Interpretationen reinhören, die g-moll #40 ist bei Böhm ziemlich undramatisch und das Finale der #31 hoffnungslos verschleppt.) Sehr preiswerte, aber in meinen Ohren "frischere" Interpretationen gibt es als zwei EMI-Duos mit dem jungen Barenboim. Oder mal in einzelne mit Harnoncourt, Gardiner, Immerseel, Minkowski reinhören.

Auch wenn Du noch nicht weißt, ob Du Klavier mögen wirst, kann es nicht schaden, mal einige der bekannteren Mozart- und Beethovenkonzerte für dieses Instrument probezuhören, sowie in die bekanntesten (mit "Namen", Pathetique, Appassionata usw.) Klaviersonaten Beethovens. Würde mich eher wundern, wenn Dir deren Sinfonien gefielen, nicht aber die Klavierkonzerte.
flutedevoix
Stammgast
#9 erstellt: 25. Dez 2011, 02:14
[quote]Haydn/Jochum ist gut (wobei ich die nur teilweise kenne); ich weiß auch keine naheliegende preiswerte Alternative.[/

haydn mit Jochum finde ich nun gar nicht gut, ebenso wie Bernstein mit Haydn. Beide Aufnahmen weiswen eher einen routinierten interpretatorischen Ansatz auf, der wenig aus Haydns "humoristischen" Sinn legt. Gemeint sind damit überraschende Wendungen.

Erste Wahl wäre sicher Brüggen, ist aber momentan nur gebraucht
erhältlich und meist zu horrenden Preisen. Eine gute und auch preislich mehr als akzeptable Alternative wären folgende Aufnahmen der bekanntesten Sinfonien (die sog. "Pariser" und "Londoner", Haydn hat sie für die Konzertreihen der beiden Städte komponiert) mit dem Concertgebouw Orchestra bzw. dem Concentus musicus Wien unter der Leitung von Harnoncourt:

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Das sind sehr lebendige Aufnahmen, die sehr am Puls der Musik sind und die Lebendigkeit und die Neigung zur Überraschung in der Komposition schön umsetzen.


[Beitrag von flutedevoix am 25. Dez 2011, 02:21 bearbeitet]
fuchs2
Stammgast
#10 erstellt: 25. Dez 2011, 22:43
Hallo,
vielen Dank für das bisherige Feedback. Das mit den Kadenzen war mir nicht klar, schön, jetzt weiß ich es. . Tatsächlich stammt die Kadenz auf meiner Aufnahme (Menuhin) von Kreisler.

Also, habe ich es richtig verstanden, dass es 3 Arten von Einspielungen gibt:

1) -Einspielung mit Originalinstrumenten (+ Historische Aufführungspraxis)

2) -nicht mit Originalinstrumenten, aber die Art und Weise der historischen Aufführungspraxis respektierend (z.B. Beethovens Metronomangaben, wie von Martin geschrieben)

3) -keine Originalinstrumente und gespielt nach eigenem Ermessen (? was auch immer das heißt...? wessen Ermessen, des Dirigenten?)

Und was davon ist am besten? Haha nur Spaß.

Ich werde mir die Tipps mal gründlich vornehmen und dann eventuell meine Neuanschaffungsplanung anpassen. Danke für die Infos und schöne Restweihnachten!
Martin2
Inventar
#11 erstellt: 28. Dez 2011, 16:46
Hallo Fuchs,

was am besten ist? Darauf gibt es nur eine Antwort: Erlaubt ist was gefällt. Ich höre etwa im Falle des Beethovenschen Violinkonzertes immer noch gerne den Schneiderhan, lieber etwa als Oistrach und Stern ( eine vierte Aufnahme habe ich bis heute nicht gehört).

Nur Schneiderhan/ Berliner Philharmoniker/ Jochum sind nun wirklich alles andere als HIP. Das heißt sie spielen sehr langsame Tempi und spielen das Konzert feierlich und getragen. Ich mag das recht gerne, aber mir ist klar, daß Beethoven ganz andere Tempi intendiert hat.

Erlaubt ist was gefällt meint auch: Es geht hier um Deinen ganz persönlichen Genuß an der Musik. Es geht nun wirklich nicht darum, einem Bildungsauftrag nachzukommen und das unbedingt schön finden zu sollen, was andere schön finden. Also vielleicht gefällt Dir der Schneiderhan oder auch eine völlig andere Aufnahme.

Und im übrigen muß man sich auch nicht unbedingt für eine Aufnahme entscheiden. Beethovens 3. hat etwa im Marcia Funebre ein von Beethoven vorgegebenes Tempo, das auf 12'15'' hinausläuft, also etwa 12 Minuten. Der Blomstedt, den Du hast, spielt das erheblich langsamer, also etwa 17 Minuten. Und ich höre das manchmal recht gerne, zumal auch viele andere wie Solti oder Karajan ähnlich langsame oder sogar noch langsamere Tempi gewählt haben. Dagegen spielt Zinman die Sinfonie erheblich zügiger und kommt etwa mit 12'45'' den Beethovenschen Intentionen sehr nahe.

Aber was soll's: Ich höre mir den Beethoven gerne mal mit Blomstedt, aber auch gerne mal mit Zinman an, oder auch Karajan oder Solti. Es gibt m.E. kein "absolut Gutes" in der Musik, sondern es ist alles Auffassungssache und jeder muß selber wissen, was ihm gefällt und es ist auch überhaupt kein Widerspruch zu sagen: Mal höre ich die 3. mit Zinman, mal mit Karajan, mal so, mal so - warum denn nicht? Zu Urteilen mag man trotzdem kommen.

Alles andere ist Purismus und man kann sich etwa die Haydn Klaviersonaten auf alten Fortepianos ( die noch einen Holzrahmen hatten) oder auf moderneren anhören - beides hat seine Berechtigung. Und jenseits von Aufnahmen, die man wirklich auch mal für "verfehlt" halten mag, gibt es ein weites Spektrum verschiedener Sichtweisen.

Gruß Martin
Wilke
Inventar
#12 erstellt: 28. Dez 2011, 17:52
Hallo 'Fuchs 2,

ich würde mir an deiner Stelle auch einmal einen Musiksender mit klassischer Musik anhören (z.b. wdr 3, Bayernklassik).
Dann kannst Du sozusagen "kostenlos" Dir verschiedene Genres anhören, und dann weiterentscheiden, ob Du Dir verschiedene
cds mit Symphonien, Klavier Solo oder ähnliches anhörst.
Wie es schon Martin2 sagte: "erlaubt ist, was gefällt" sollst
du ruhig dem hedonistischen Prinzip folgen, und Dir verschiedene Sachen anhören. Jedenfall auch von mir ein Willkommen im Forum.
fuchs2
Stammgast
#13 erstellt: 05. Jan 2012, 17:28
Hallo mal wieder,
ich wünsche allerseits ein gutes Neues Jahr. Vielen Dank für die bisherigen Antworten.

Zum Thema Kadenzen bei Beethovens Violinkonzert:

Zusätzlich zu meiner Aufnahme Menuhin/Furtwängler, Kadenzen von Kreisler (siehe oben)
werde ich mir noch die von blitzschlag666 vorgeschlagene Heifetz-Aufnahme mit Kadenzen von Joachim und Auer kaufen. Nach Euren Kommentaren und Beschreibungen zu den verschiedenen Alternativen überzeugt mich diese Aufnahme am meisten: Das Tempo soll ordentlich sein, technisch sehr gut, und für mich am wichtigsten: da ich die Kreisler-Kadenzen schon habe, bekomme ich so etwas Anderes, Solides zum Vergleichen. Die von Pilotcutter verlinkte Kadenz hört sich für mein laienhaftes Ohr doch eher etwas schrill an, also keine klare Kaufentscheidung für die Kremer-Einspielung. Auch plötzlich auftauchendes Piano, nachträglich hinzugefügte Tonspuren und eventuell schlechte Tonqualitäten bei ganz alten Aufnahmen - das überfordert mich als Einsteiger eher, ich bleibe lieber bei der Heifetz-Aufnahme.
Einziger Wehrmutstropfen: Auch das Mendelssohn-Violinkonzert, das hier mit dabei ist, habe ich bereits auf der Furtwängler-Menuhin-Aufnahme. Naja egal, dann habe ich wieder was zum Vergleichen. Wir sind ja nicht zum Vergnügen hier, sondern wollen auch was lernen…

Bei meinen Mozart-Sinfonien (Böhm) bleibe ich erstmal, habe zu wenige Kriterien, um jetzt schon blind bunt zu mischen.

Kreisler jun: Klar, ich habe nicht vor, die Klavierstücke „auf Verdacht“ zu meiden.

flutedevoix: Die links zu Deinen Vorschlägen für Haydn funktionieren nicht!

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Anderes Thema. Die Art der Aufnahme.

Also, natürlich war meine Frage, was am besten sei, eher als Scherz gemeint. Um verschiedene Höreindrücke einordnen zu können, fehlt mir aber das Wissen, um was es dabei grundsätzlich geht.

Da jetzt kein Widerspruch kam, gehe ich einfach mal davon aus, dass meine „Einteilung“ in drei Kategorien in meinem vorherigen Thread so stimmt.

Für mich stellt sich für den Musikkonsum die Frage:

1) Wie höre ich, um welche Art der Aufführung es sich handelt, was sind die typischen Merkmale der verschiedenen Aufführungsarten?
2) Wie kann ich eine CD einordnen, ohne sie gehört zu haben? (Ich vermute, ich muss mir einen Überblick verschaffen, welcher Dirigent in welcher Art und Weise aufführt, und orientiere mich dann beim CD-Kauf an den Dirigentennamen, um die Art der Aufnahme einzuschätzen. Ja?)

Kann ich mich irgendwo hier anfängerfreundlich in das Thema einlesen, hat jemand einen Tipp?

Soviel für heute, bis bald. Viele Grüße, fuchs2
flutedevoix
Stammgast
#14 erstellt: 05. Jan 2012, 17:42
Das ist manchmal schon ärgerlich, wenn die Software die Links nicht umsetzt. Hier noch enmal ein Versuch:
jpc.de
jpc.de

Wie ich finde hochemotionale Aufnahmen, die nicht ganz die Eleganz und das Timing der Brüggen-Aufnahmen haben, aber dennoch mit diesen für mich erste Wahl sind.
Martin2
Inventar
#15 erstellt: 05. Jan 2012, 18:30
Hallo Fuchs 2,

ich denke, Du kommst überhaupt nicht darum herum, einfach Erfahrungen zu machen. Wenn Du Dich hier in dieses Forum einliest, wirst Du feststellen, daß auch wir hier ständig darüber streiten, was man als gut oder als weniger gut empfindet. Der eine schwört auf den Beethoven mit Karajan, der zweite auf Zinman, Harnancourt oder was weiß ich.

Ich denke wesentlich ist es, die groben Entwicklungen im Auge zu haben. So wurde Beethoven vor 50 oder 60 Jahren im allgemeinen sicherlich getragener gespielt. Heute spielt man ihn schneller, so wie man Barockmusik sicherlich dynamischer spielt als vor 40 oder 50 Jahren, wo die Musik teilweise derart "antiquiert" gespielt wurde, daß man ihr jedes Leben entzogen hat.

Ich fände es überhaupt nicht verkehrt, sich als Klassikeinsteiger mal eine "billige Box" zu kaufen und zwar diese hier:

jpc.de

Im moment bei JPC billiger als bei Amazon, nur 20 Euro. Ich bin sehr angetan von dieser Box. Der Mozart mit Szell ist sehr gut, der Beethoven mit Maazel hat mir auch sehr gut gefallen, die vier Jahreszeiten von Vivaldi sind sehr gut, die Haydnscheibe mit der La Petite Bande ist ausgezeichnet, die Mahler Sinfonien sind OK, beim Mussorgski gefielen mir sowohl die Bilder einer Ausstellung als auch die Lieder und Tänze des Todes, bei den Brandenburgischen höre ich zwar anderes lieber, aber auch das ist zum Reinhören genug.

Also insgesamt ist das eine sehr empfehlenswerte Box, die einen gewissen "Grundstock" einer jeden neuen Klassiksammlung legt, auch wenn gewiß nicht alles Referenzaufnahmen sind und zu dem Preis auch nicht sein können.

Gruß Martin


[Beitrag von Martin2 am 05. Jan 2012, 18:32 bearbeitet]
fuchs2
Stammgast
#16 erstellt: 06. Jan 2012, 03:55
Hallo,
so, dann muss ich mich jetzt zwischen diesen beiden Aufnahmen entscheiden:

amazon.de

jpc.de

Mir ist klar, dass keine der Aufnahmen wirklich schlecht ist. Wir grenzen sie sich voneinander ab?
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Hallo Martin,

also mir geht es ernsthaft nicht um die naive Frage "gut oder schlecht", und ja, die Geschmäcker sind berechtigterweise verschieden, und nein, ich hatte nicht vor, mich um das Sammeln von Höreindrücken herumzudrücken...

Okay, ihr wollt das Geheimwissen um die möglichen interpretatorischen Ansätze einer Aufführungen nicht preisgeben, schon kapiert. Ich werde mir meine CDs dann weiterhin nach optischen Kriterien kaufen. Bei den Haydnschen Sinfonien muss ich hier als Fotgraf ganz klar dem Herrn Jochum den Vorzug geben - das Cover mit der fragilen verwackelten Towerbridge in Schwarzweiß im Kontrast zu dem klaren weißen Haydn-Schriftzug in Druckbuchstaben- also das ist schon sehr schick, da hat sich jemand echt Mühe gegeben....

Nun diese Box ist ja schon verführerisch. Unschlagbarer Preis, und dann auch noch brauchbar bestückt. Ich werde sie mir aber nicht kaufen, schweren Herzens ob des verpassten Schnäppchens, aber das würde nicht meiner Art entsprechen, wie ich mich der Musik nähern will- nach und nach, CD für CD. Gerade das Stöbern, was als nächstes gekauft werden soll, das Orientieren an sich, macht doch schon einen guten Teil des Spaßes aus. Bei einer (größeren) Box hätte ich immer auch das Gefühl, dass ich sie "durcharbeiten" muss.

Martin2
Inventar
#17 erstellt: 06. Jan 2012, 05:50
Hallo Fuchs 2,

nun diese Box gibt es schon ein paar Jahre ziemlich günstig, es ist also kein aktuelles Schnäppchen, vielleich gibt es sie auch noch in ein paar Jahren.

Rein hörpsychologisch finde ich solche Boxen auch nicht gut. Es ist ein bißchen "die 80er, die 90er und das beste von heute". Der billige Preis ist gut, aber viel natürlicher als das Abgrasen solcher Hits ist der individuelle Weg, den man in der Musik suchen muß. Es ist viel natürlicher diesen individuellen Weg zu gehen und sich meinetwegen in den Brahms zu verlieben und alles von ihm kennen lernen zu wollen, vom Streichquartett oder der Sinfonie als musikalischer Gattung fasziniert zu sein und zu sehen, was andere aus dieser Gattung gemacht habe. Also bleibe Dir treu, Schnäppchen kommen und gehen.

Gerade weil klassische Musik anspruchsvoll ist, ist sie etwas höchst individuelles. Bachs wohltemperiertes Klavier etwa wird für mich immer mit Scharbeutz verbunden bleiben. Ich war in der Ferienwohnung meiner Eltern, um dort ein bißchen Urlaub zu machen, aber leider regnete es draußen in Strömen, die Musikanlage war billig und etwas klirrend, aber ich mochte das ganz gerne und ich hörte da das wohltemperierte Klavier mit einer Aufmerksamkeit wie niemals zuvor und kam der Musik auch emotional näher.

Solche Erlebnisse sind es, die einem die klassische Musik näher bringen, auch manchmal diese gewissermaßen synästhetischen Effekte, so mochte ich die goldene Farbe meiner Mahler/ Abravanel Schallplatten und die Musik schimmerte in der goldenen Farbe. Also ich verstehe es sehr gut, wenn Du Musik auch nach "optischen Anreizen" kaufst, warum auch nicht.

Ich höre klassische Musik allerdings seit mehr als 35 Jahren und das qualifiziert mich leider eher nicht als Ratgeber für Klassiknewbies. Diese Fülle von Ratschlägen, die man dann verbreitet, ist eher erdrückend. Also ich denke, Du machst das schon ganz richtig.

Gruß Martin
Kaddel64
Hat sich gelöscht
#18 erstellt: 06. Jan 2012, 13:25
Hallo fuchs2,

Gratulation zu dieser Erkenntnis, die ich am liebsten fett eingerahmt im Klassik-Unterforum "Rund ums Sammeln" obenan gepinnt sehen würde:
fuchs2 schrieb:
Nun diese Box ist ja schon verführerisch. (...) Ich werde sie mir aber nicht kaufen, (...) das würde nicht meiner Art entsprechen, wie ich mich der Musik nähern will - nach und nach, CD für CD. Gerade das Stöbern, was als nächstes gekauft werden soll, das Orientieren an sich, macht doch schon einen guten Teil des Spaßes aus. Bei einer (größeren) Box hätte ich immer auch das Gefühl, dass ich sie "durcharbeiten" muss.

Dein Vorgehen ist mir sehr sympathisch, weil es zeigt, dass Dir die Beschäftigung mit Musik, die ernsthafte und tiefe Auseinandersetzung mit der Materie wichtiger ist als die endlose Schnäppchenjagd und Anhäufung von Tonträgern, die einen schnell unter Druck setzen und gefangen nehmen kann, wie ich aus eigener, leidvoller Erfahrung weiß. So aber lässt Du Dir selbst alle Freiheiten zu entscheiden, an welcher Stelle Du Dich mehr in die Tiefe und an welcher mehr in die Breite orientieren willst. Respekt!
In der Konsequenz wirst Du möglichwerweise die Erfahrung machen, dass man durch den gelegentlichen Verzicht auf großvolumige Boxen und bewusste Beschränkung auf zwar hochpreisige, aber sorgfältig ausgewählte und auf den Geschmack abgestimmte Einzel-CDs in der Summe nicht unbedingt teurer und keineswegs weniger zufrieden stellend fährt.


fuchs2 schrieb:
So, dann muss ich mich jetzt zwischen diesen beiden Aufnahmen entscheiden.
Genau. Du musst entscheiden, denn Dir soll es gefallen. So nützt es auch nicht, wenn ich hier meine favorisierten Aufnahmen der Haydnschen London-Sinfonien nenne, die vom interpretatorischen Ansatz her außerhalb derer Jochums und Harnoncourts liegen. Von den beiden liegt mir jedoch ganz klar Harnoncourt näher.


fuchs2 schrieb:
Mir ist klar, dass keine der Aufnahmen wirklich schlecht ist. Wie grenzen sie sich voneinander ab?

In aller Kürze - sehr plakativ und der komplexen Materie nicht gerecht werdend:
Jochum nähert sich dem Haydn von seinem spätromantischen Verständnis her, sozusagen rückwärts entwickelt aus der Tradition des späten 19. Jahrhunderts. Manches klingt bei ihm mehr nach Bruckner als nach Haydn. Höre mal in die langsame Einleitung der Nr. 101 hinein (nur die ersten 4 Takte; für mich oft gut zu hören in den Ausschnitten auf der Website von JPC) und vergleiche diese mit anderen Aufnahmen.
Harnoncourt ging den umgekehrten Weg, seine Lesart setzte die intensive Beschäftigung mit der Aufführungspraxis von Musik früherer Epochen voraus. Das führt unmittelbar zu einer vergleichsweise schlanken Tongebung, einem transparenten Satz und einem oft lebendigeren Musizieren. Höre nochmal in den Beginn des Adagio der 101 hinein. Und dann noch einmal Jochum: Schon das Dauervibrato seiner Streicher venebelt vieles von der musikalischen Struktur. Dann vergleiche eines der zahlreichen Menuette aus den Londoner Sinfonien in den Interpretationen von Jochum und Harnoncourt. Bei letzterem ist es noch echter Tanz. Das lässt Jochum leider vermissen. Oder er gerät gar in die Nähe eines schwerfälligen Walzers... (Nr. 94 - Menuet: Allegro molto!)
In der Kürze nur zwei leicht nachvollziehbare Beispiele, die vielleicht nicht einmal repräsentativ sind für die jeweiligen Gesamtaufnahmen. Es mag sich daher bitte niemand auf den Schlipps getreten fühlen. Jedem wie's gefällt.

Gruß, Kaddel
Kreisler_jun.
Inventar
#19 erstellt: 06. Jan 2012, 14:30
Konkret bei den Londoner Sinfonien, ist Jochum allerdings oft ziemlich zügig unterwegs und selbst wenn die Klangbalance nicht ideal ist, kann man m.E. nicht von einer überromantischen Herangehensweise sprechen. Ich kenne aus dieser Box zwar nur 100-102, allerdings noch 4 weitere 93-95,98 in einer anderen Aufnahme Jochums aus Dresden und von den "traditionellen" Haydn-Interpretationen ist Jochum eine der empfehlenswerten.

Die Londoner Sinfonien unter Harnoncourt sind dagegen, abgesehen von den schnellen Menuetten (und hier ist er m.E. besser als der HIP-Durchschnitt, selbst wenn ich die Verlangsamung in einigen Trios nicht so plausibel finde), alles andere als typische historistische Interpretationen. Zum einen ist es ein volles modernes Orchester, selbst wenn die Klangbalance "besser" ist als bei Jochum. Zum anderen sind einige Tempi ziemlich ungewöhnlich, sehr schnell in den Menuetten, dafür ein sehr breiter Kopfsatz von 104, ein brucknerisch langsames Adagio in 99 und wohl auch eine der langsamsten Deutungen des Finales von 101. Demgegenüber scheint der "romantische" Jochum oft geradlinig und unmanieriert.
Ich finde Harnoncourt hier durchaus hörenswert und einige Sinfonien sind sehr gut gelungen. Insgesamt halte ich aber seine Einspielungen einiger früher und mittlerer Sinfonien, sowie der Pariser für gelungener. Obwohl letztere auf den ersten Blick teils noch irritierender sein mögen, haben sie doch eine Farbigkeit, Energie und Ausdruckskraft, die sie für mich zu einer der faszinierendsten Haydn-Aufnahmen im Katalog machen. (Leider sind die "Pariser" noch ziemlich teuer)
flutedevoix
Stammgast
#20 erstellt: 06. Jan 2012, 14:52

so, dann muss ich mich jetzt zwischen diesen beiden Aufnahmen entscheiden:


Bezüglich Deiner Aussagen zum Kaufverhalten und zur Hörweise kann ich mich nur meinem Vorredner anschließen!

Doch nun zu Deiner eigentlichen Frage. Eigentlich hat Kaddel schon alles in Kürze doch recht zutreffender Weise angerissen. Ich würde auch unbedingt dafür plädieren, daß Du Dir Aufnahmen in Auschnitten bei jpc anhörst!

Ich möchte nur kurz etwas zeitgenössisches und rezeptionsgeschichtliches Futter um die Frage geben. Vielleicht erschließt sich so Dir ja auch ein Entscheidungsansatz:

Im 20. Jahrhundert hat man Joseph Haydn immer als einen bedeutenden Komponisten der Wiener Klassik und als Vater der Sinfonie und des Streichquartetts bezeichnet. Letzlich verwendete man gern den Begriff "Papa Haydn" und meinte oft "Opa Haydn". Die Musik Haydns galt oft als nett und schön, der aber die melodische und instrumentatorische Raffinesse eines Mozart und gar die Dramatik eine Beethovens abging. Deshalb wurde er ganz oft auch am Ende des klassischen Dreigestirns Mozart - Beethoven - Haydn genannt und eingeschätzt.

Zu Haydns Lebzeiten sah die Sachlage aber ganz anders aus. Obgleich er bei einem der höchsten Fürsten (meine ich jedenfalls) des österreichischen Kaiserreichs als Hofkapellmeister angestellt war, wirkte er doch in Eisenstadt in der Provinz. Nur seinem überdurchscnittlichen kompositorischen Können, das unter anderem im sinfonischen Schaffen von einer guten Prise Humor, also überraschenden Einfällen gekennzeichnet ist, und der Präsenz seines Arbeitgebers am Kaiserhof und damit in Wien, ist es zu verdanken, daß es ihm nicht so erging wie vielen Zeitgenossen, die lange vergessen waren und heute "wiederentdeckt" werden. Haydn wurde aber zum wohl gefeiertsten und meist angesehenen Komponisten Europas (also der Welt damals) in seiner Zeit. Das gipfelt darin, daß man ihn heiß umworben hat und um Kompositionen bat. Das war ein Kult, den man heute nur mit Rockstars oder vielleicht noch besser mit Fußballstars vergleichen kann. So entstanden die Pariser und Londoner Sinfonien-Zyklen, für die beiden herausragenden und exklusivsten Konzertreihen, die sich im aufkeimenden Jahrhundert des Bürgertums etabliert hatten. Solche Aufträge erhielten weder Mozart noch Beethoven.
Grund dafür war Haydns dramatische, überraschende und einfallsreiche, jedenfalls sehr charakteristische Musik. Nicht umsonst rührt die große Wertschätzung Mozarts ("Er ist der Vater von uns allen") oder Beethovens für Haydn. Er ist der älteste von diesen dreien (* 1732) und wurzelt deutlich hörbar noch im Barock. Seine große kompositorische Leistung ist es, die ganzen Strömungen des Sturm und Drang kanalisiert und in eine eigene musikalische und formale Sprache gegossen zu haben, die sich in der Klassik als Standard schlecht hin erweisen sollte. Das alles ist sehr verkürzt und nicht allein sein Verdienst, kommt der Sache aber sehr nahe.

So und nun endlich zur Interpretation:
Jochum repräsentiert dieses alte rezeptionsgeschichtliche Bild vom "Papa oder "Opa" Haydn. Sein Interpretationsansatz weicht Spannungen (Dissonanzen, Akkordverbindungen) oft auf und nimmt ihnen so die strukturelle Wirkung. Zudem sind seine Tempi oft sehr langsam (Menuette!), jedenfalls weiter weg von den Tempi zu Haydns Zeiten, die man kennt. Das alles führt zu einer klangschönen, in meinen Augen jedoch auch betulichen und etwas "langweiligen" weil spannungslosen Interpretation.
Harnoncourt dagegen zeigt mehr die Verwandschaft und Verwurzelung Haydns im Barock auf. Seine Interpretationen scheinen mir auch nicht ideal, einige Tempi sind zumindest diskutabel und einige artikulatorische Ansätze ebenfalls. Insgesamt bringt er aber die Dramatik und die Spannung in den Sätzen hervoragend zur Geltung. Bei ihm hört man auch, warum Haydn ein direkter Vorläufer Beethovens ist, etwas das bei Jochum doch zu sehr untergeht.
Vielleicht noch eine Bemerkung zum Ansatz Harnoncourts: eigentlich ein Vertreter der historisch informierten Spielweise, setzt er hier zwar sein Wissen um die Spieltechniken ein, aber nicht Instrumente aus der Zeit Haydns. Das führt zwangsläufig zu einer klanglichen Balanceverschiebung im Orchester, die aber Harnoncourt eben mit dem Wissen um die Klangeigenschaften dieser Zeit gut abfängt.
Vor diesem Hintergrund wäre eben Brüggen in meinen Augen ideal. Leider ist die Aufnahme momentan nicht erhältlich bzw. zu Mondpreisen.

Wenn Dich noch mehr zu dem Thema interessiert, hole ich gerne noch etwas weiter aus.


[Beitrag von flutedevoix am 06. Jan 2012, 15:53 bearbeitet]
Wilke
Inventar
#21 erstellt: 06. Jan 2012, 15:25
Was ist denn ein ulatorischer Ansatz?
gruß Ralf.
Kreisler_jun.
Inventar
#22 erstellt: 06. Jan 2012, 15:51
"Artikulation" bedeutet in der Musik u.a. wie Töne miteinander verbunden oder voneinander abgesetzt werden. Die extremen Formen sind "staccato", d.h. die Töne werden sehr kurz mit kleinen Pausen dazwischen gespielt (zB Beethoven, 8. Sinfonie 2. Satz "tat-tat-tat-tat" usw.) und "legato", bei dem Töne sozusagen nahtlos gesanglich ineinander übergehen. Dazu gibt es viele Zwischenstufen und natürlich noch weitere Aspekte.Etwa wie die Töne angesetzt bzw. "attackiert" werden und welche Lautstärke sie haben usw.
Etliches ist auch abhängig von den Möglichkeiten der jeweiligen Instrumente.
flutedevoix
Stammgast
#23 erstellt: 06. Jan 2012, 15:55
Danke Kreisler für die Erklärung!
Artikulatorischer Ansatz wäre richtig gewesen.

Vielleicht sollte ich meine Postings doch öfters mal Korrektur lesen. An der "maschine" passieren so schnell so viele Rechtschreibfehler, wenn man das Zehnfingersystem nicht beherrscht und denooch schnell schreiben will. Ich gebe gerne zu, dafür oft zu faul zu sein!

q.e.d.


[Beitrag von flutedevoix am 06. Jan 2012, 16:11 bearbeitet]
Wilke
Inventar
#24 erstellt: 06. Jan 2012, 16:00
Zum Glück nur ein Schreibfehler! Ich dachte schon,ich müßte
Musikwissenschaften studieren, um demnächst in diesem Forum bestehen zu können.

Mit den Schreibfehlern ist es bei mir eine Katastrophe, wenn ich dass ipad meiner Frau nutze. gruß Wilke
Martin2
Inventar
#25 erstellt: 06. Jan 2012, 17:26
Hallo Kaddel,

ob Boxen oder nicht Boxen, das muß jeder selber wissen. Eine Aufnahme wird nicht schlechter dadurch, daß sie in einer Box drin ist. Etwas anderes zu behaupten ist schlicht und ergreifend irrational.

Man muß denke ich mit Boxen auch umgehen können. Die Einzel CD ist dahingehend besser, als man sich für den moment das präzise kauft, was einen im moment interessiert. Diese Käufe finden auch bei mir statt, etwa indem ich mir jetzt mal die Streichquartette von Reger gekauft habe, da ich diese mal kennen lernen wollte.

Das spricht aber nicht gegen Boxen, es spricht nur gegen das gewissermaßen "systematische" Durchhören von Boxen. Wer Boxen systematisch durchhört, raubt sich damit auch die Spontanität des Hörens. Davon möchte ich dringend abraten, aber durchaus nicht vom Erwerb von Boxen oder auch günstigen Angeboten.

Gruß Martin
fuchs2
Stammgast
#26 erstellt: 06. Jan 2012, 18:07
Hallo,
vielen Dank für die Ratschläge und den musikhistorischen Vortrag von flutedevoix. (Höre mir gerne noch mehr dazu an...)
Habe jetzt probegehört, und die Menuette haben mich letztendlich überzeugt. Obwohl es eher eine Bauchentscheidung ist, glaube kaum, dass ich mit Jochum unglücklich geworden wäre.

Bestelle mir jetzt diese CDs, es müsste sich um die empfohlenen Aufnahmen handeln (wenn auch das Cover anders ist):

amazon.de

Und ich bestelle den ganzen anderen Kram, den ich hier bisher als Kaufvorhaben angekündigt habe...


Grüße, fuchs2


[Beitrag von fuchs2 am 06. Jan 2012, 18:08 bearbeitet]
Kreisler_jun.
Inventar
#27 erstellt: 11. Jan 2012, 18:20
Eine ergänzende Box mit einer interessanten Auswahl einiger frühen und mittleren Sinfonien (die CD mit der Sinfonia Concertante (105) etc. kenne ich allerdings nicht) gibt es gerade zum Preis von ca. einer Vollpreisscheibe bei jpc:

jpc.de
fuchs2
Stammgast
#28 erstellt: 11. Jan 2012, 19:07
Hallo,
meine Bestellung ist da!

So, jetzt habe ich Nachschub: Haydn, Cellokonzerte, Haydn, Londoner Sinfonien, Mozart, Sinfonien,
und nochmal (redundant :-) ) Violinkonzerte Beethoven und Mendelssohn, diesmal Heifetz. Viel, sehr viel Hörstoff. Beethovens Violinkonzert ist bei dieser Aufnahme wirklich etwas schneller. Die Joachim/Auer-Kadenzen quietschen zwar ähnlich, wie die von Kreisler, aber insgesamt mag ich diese Aufnahme trotzdem lieber. Übrigens ist die Harnoncourt-Haydn-Box optisch und haptisch sehr sehr schick, bestimmt genauso gut wie die Haydn-Box von Jochum gewesen wäre.

Nur mit der Musik tue ich mir insgesamt gerade etwas schwer. Ja es klingt alles sehr schön. Es ist alles nett. Aber ist es DIE OFFENBARUNG? Vielleicht erwarte ich auch zu viel auf einen Schlag. Vielleicht muss ich auch alles erstmal viel öfter anhören.

Grüße, fuchs2
Martin2
Inventar
#29 erstellt: 12. Jan 2012, 13:41

fuchs2 schrieb:

Nur mit der Musik tue ich mir insgesamt gerade etwas schwer. Ja es klingt alles sehr schön. Es ist alles nett. Aber ist es DIE OFFENBARUNG? Vielleicht erwarte ich auch zu viel auf einen Schlag. Vielleicht muss ich auch alles erstmal viel öfter anhören.



Hallo Fuchs 2,

es hat bei mir ziemlich lange gedauert, bevor ich speziell dem Haydn etwas abgewinnen konnte. "Ganz nett", so habe ich den Haydn über lange Jahre empfunden und empfinde ihn manchmal heute noch so.

Das ist aber alles höchst individuell. Man kann mit Haydn Streichquartetten oder Strawinskis Le Sacre in die Klassik einsteigen.

Ältere Musik hat das Problem, daß man diese Musik richtig "lesen" muß. Die Einführung von Mozarts "Dissonanzenquartett" etwa klingt aus heutiger Sicht "avancierter", nur "dissonant" klingt sie für uns heutige nicht mehr.

Aus dieser Hinsicht wäre die "Einsteigerbox" von Sony für Dich eine gute Idee gewesen. Es hätte zur Abklärung musikalischer Vorlieben führen können. Aus der Faszination für bestimmte Werke und Komponisten entwickelt sich erst der Drive. Und Haydn kann Dich heute, er kann Dich aber auch in zwanzig Jahren oder auch nie interessieren.

Meine eigene Hörerbiographie sieht so aus: Angefangen mit etwas Mozart und Beethoven, den meine Eltern zuhause hatten, habe ich mich mit Leidenschaft auf die Sinfonik und die Konzerte von Brahms gestürzt. Später kamen die Sinfonien von Bruckner und Mahler, noch später Sibelius und Ives dazu. Haydn Sinfonien haben mich damals nicht im geringsten interessiert, Kammermusik auch nicht. Wenn ich es hörte, fand ich es langweilig.

Es ist nicht gesagt, daß Du den selben Weg gehst, nur einen bestimmten Weg solltest Du schon gehen. Wenn Du also bestimmte Sachen "nett" findest, aber nicht mehr, dann kann das heißen, daß für diese Sachen die Zeit noch nicht gekommen ist, möglicherweise aber auch nie kommt und dann solltest Du Dich auf die Suche machen nach dem, was Dir im moment gut gefällt.

Ich hoffe, Dir etwas weiter geholfen zu haben.

Gruß Martin
flutedevoix
Stammgast
#30 erstellt: 12. Jan 2012, 19:23

Vielleicht muss ich auch alles erstmal viel öfter anhören.


Das ist der richtige Weg! Und die Musik, die du hast in diesen Interpretationen taugt dazu! Auch eine Beschäftigung mit den Booklettexten, sofern vorhanden, ist eine gute Sache. Denn Informationen rund um die Musik macht einiges verständlicher.
Wenn Du dich ausführlicher informieren möchtest, sind Biographien (die ro-ro-ro-Reihe ist normalerweise ein gut lesbare, informative und kostengünstige Reihe) und Werkeinführungen eine gute Quelle. Stellvertretend für viele seien folgende zwei genannt:
amazon.de
amazon.de

Und ansonsten gilt: höre auf deine Gefühle, versuche für dich zu beschreiben, was für dich nett ist, was für dich erfüllend und was für dich langweilig. Und versuche vielleicht zu überlegen, warum das so ist. Keine Angst, es gibt dabei kein richtig oder falsch!
Martin2
Inventar
#31 erstellt: 12. Jan 2012, 19:58
Hallo Flutedevoix,

natürlich muß man sich gewisse Sachen öfters anhören. Andererseits sollte man das, was in diesem Forum geschrieben wird, auch einordnen können. Dazu rate ich Fuchs2 dringend.

Kreisler Junior etwa ist ein großer Fan der Musik Haydns. In seiner subjektiven Komponistenrangliste landete Haydn auf Platz 2 hinter Beethoven. Das ist völlig legitim, nur sollte Fuchs2 wissen, das dies eine völlig subjektive Einordung Kreisler Juniors ist.

Ich halte es offen gesagt für völlig absurd, Fuchs 2 eine Harnoncourtbox mit frühen Sinfonien von Haydn zu empfehlen - bei aller Liebe.

Zu Haydn gibt es das berühmte Zitat Goethes, daß Haydns Musik wohl überboten aber nicht übertroffen werden könne. Das ist ein nettes Bonmot das allerdings die Sache trifft.

Haydn ist eben ein Komponist, der überboten wurde, vor allem durch die Musik der Romantik, aber schon durch Beethoven. Dies ist allerdings sage ich noch mal völlig subjektiv, allgemein gilt jedoch, das Haydns Musik - und das ist überhaupt nicht böse gemeint - eher eine Musik für den Kenner, den "connosiseur" ist, keinesfalls ein guter Tip für den Einsteiger in klassische Musik. Wenn Fuchs2 das anders sieht - völlig in Ordnung, aber seine leichte Enttäuschung scheint mir sehr gut verständlich.

Wenn Fuchs2 von seinen CDs enttäuscht ist - wie es ja scheint-, dann sollte er nicht dicke Bücher lesen, sondern lieber die spottbillige Sonybox kaufen und mal dort herein hören, das ist nicht viel teuerer als das Radio. Die Decca Piano Masterworks Box ist auch eine Empfehlung, wenn er Klavier mag, immerhin findet sich da auch Debussy, Ravel, Satie und Prokoview, also einiges etwa moderneres, was in der Sonybox fehlt.

Aber das muß Fuchs 2 alles selber wissen. Und ja: Musik öfter hören muß man schon, an diesem Punkt sind sich Flutedevoix und ich wieder einig.

Gruß Martin
flutedevoix
Stammgast
#32 erstellt: 12. Jan 2012, 20:11
Lieber Martin,

du weißt, daß ich nichts von diesen Boxen halte. Um sich zu orientieren, genügt meines Erachtens ein Kultursender (swr2, br4, etc.). Um sich aber mit Musiki auseinanderzusetzen, braucht man einen Tonträger, den man mehrmals anhören kann, zu dem man sich Gedanken machen kann. Ich finde es aber wesentlich sinnvoller, sich zunächst einmal auf weniges zu konzentrieren und dann langsam seinen Horizont zu erweitern als Dutzende CDs zu Hause zu haben und in alles mal reinzuhören und schlußendlich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen.

Zudem halte ich es durchaus für gut, sich einem Thema auch über Lektüre zu nähern. Und um das einmal klarzustellen:die von mir erwähnten Bücher sind weder umfangreiche Wälzer noch befleißigen sie sich einer wissenschaftlicher oder pseudo-wissenschaftlicher Sprache. Vielmehr sind sie gut zu lesende Begleitlektüre, um das gehörte auch mal einordnen zu können.

Was nun die Frage nach einsteigergerechter Klassik betrifft: Gibt es die? Ich glaube mit jeder Musik, die einem gefällt, kann man einen Einstieg in die Klassik bekommen. Egal ob das Perotin, Bach, Haydn, Mozart oder Tschaikowski ist. Ich meine mich auch zu erinnern, daß hier fuchs2 explizit nach Haydn gefragt hat. Halte ich übrigens auch für keine schlechte Musik und welche Musik besser als die andere sei, nun das halte ich auf der kompositorischen Ebene für obsolet!

Aber geben wir fuchs_2 doch mal die Chance sich mit der Musik auseinanderzusetzen, zu überlegen, ob die Musk nach mehrmaligem Hören wirklich nur nett ist, oder ob sie ihm mehr sagt! Dann schauen wir weiter!
Für Fragen stehe ich gerne zu Verfügung!


[Beitrag von flutedevoix am 12. Jan 2012, 20:32 bearbeitet]
Kreisler_jun.
Inventar
#33 erstellt: 12. Jan 2012, 21:59
Fuchs 2 hatte in seinem Eingangsposting explizit nach Haydn-Sinfonien gefragt, oder?
(Weil ihm eine CD mit 88,92 und 94 gefallen hatte.)
Ich habe zumindest in diesem thread niemandem meine Lieblingskomponisten aufgedrückt... (die Freiheit, die ich mir in meiner erste Antwort nahm, war, auf Beethovens und Mozarts Klavierwerke hinzuweisen.)

Zwar sind die "Londoner" die bekanntesten und in der anderen Harnoncourt-Box sind einige relativ wenig bekannte dabei. Aber eben auch die "Tageszeiten" und die "Abschiedssinfonie". Gerade bei einem Einsteiger kann man m.E. gar nicht wissen, ob diese Werke nicht ebensogut oder sogar besser ankommen als die Londoner Sinfonien.

Und Werke wie "Schöpfung", das Kaiserquartett und eine ganze Reihe von Sinfonien (meist mit Beinamen) wie 82, 83, 85, 94, 100, 101, 103 und 104 gehören typischerweise durchaus zum Einsteigerrepertoire. Es mag sein, dass es etwas für "Kenner" ist, alle Sinfonien und Quartett von Haydn hören zu wollen. Aber nach den leichtesten Wunschkonzertbonbons sind die genannten Werke doch wohl häufigere Einsteigerempfehlungen als die Sinfonien von Bruckner oder Mahler. Jedenfalls war das vor etwa 25 Jahren so, als ich einige davon kennengelernt habe.
Martin2
Inventar
#34 erstellt: 12. Jan 2012, 22:50
Möge sich Fuchs 2 hier noch mal äußern, auf diese Weise kommen wir ins Gespräch. Ich hörte heute die 85. Sinfonie von Haydn mit dem Franz Brüggen, verdammt gute Musik, aber bei der nächsten sackte dann wieder meine Konzentration weg.

Der Musikgeschmack ist eine höchst individuelle Sache. Was gegen diese Sonybox spricht, verstehe ich nach wie vor nicht, sicher ist Radio ganz nett, aber es sollte einem doch 20 Euro wert sein, ausgewählte Werke der klassischen Musik auf 30 CDs in gutem Klang einfach mal so auf dem Silbertablett serviert zu bekommen. Wie wäre ich glücklich gewesen in jungen Jahren über so eine Box.

Gruß Martin


[Beitrag von Martin2 am 13. Jan 2012, 00:36 bearbeitet]
flutedevoix
Stammgast
#35 erstellt: 12. Jan 2012, 22:55
Muß man denn mehr als eine Sinfonie eines Komponistrn am Stück hören?
Martin2
Inventar
#36 erstellt: 13. Jan 2012, 16:01
Hallo Flutedevoix,

damit hast Du sicher recht und das "viel am Stück hören" führt vermutlich irgendwann zum Banausentum.

Fuchs2 sagt selber, daß er sich mit der Musik teilweise schwer tut, weil es nicht "Die Offenbarung" ist, wie er wörtlich schreibt. Nun, wenn er die Beethovensinfonien kennt, kann ich gut verstehen, wenn ihm der Haydn nicht als "Offenbarung" erscheint.

Ist jetzt nicht unbedingt der Qualitätsunterschied das wesentliche, aber sowas wie "Musik als Urerlebnis", Beethovens Eroica meinetwegen, bietet Haydn nicht. Vielleicht sollte er es dann mit dem Haydn so machen, wie ich es auch mache und immer mal wieder in den Haydn rein hören. Es wird sich auf längere Sicht bestimmt lohnen.

Gruß Martin
fuchs2
Stammgast
#37 erstellt: 15. Jan 2012, 19:31
Hallo,
danke, schön, dass ihr Euch so intensiv um mich kümmert... :-)

Also heute stelle ich fest, dass ich das Violinkonzert E-Moll Op. 64 von Felix Mendelssohn total klasse finde.

In Haydn hab ich bisher nicht weiter reingehört, es stehen hier noch viele andere CDs an. Richtig, ich hatte nach Haydn gefragt, und ich bereue es nicht, mir diese Box gekauft zu haben. Bald werde ich sie mir intensiv anhören. Und ich habe damit eine gute Aufnahme von bekannten und geschätzen Haydn-Sinfonien im Regal, die mir jederzeit zur Verfügung stehen. Wie sich mein Geschmack weiter entwickelt, wird sich dann ja zeigen. Ich möchte, zugegeben, ja auch irgendwie erstmal zur Orientierung "den Kanon abgrasen". Da bin ich auch für Lektüre aufgeschlossen, wobei mir im Augenblick die Zeit fehlt und ich diese dann lieber zum Anhören als zum Lesen nutze. Ich verstehe ja, was für die Sony-Box spricht, vielleicht komme ich doch noch auf die Idee, sie mir zu kaufen. Im Augenblick aber nicht.

Ich hab nochmal ein paar terminologischge Frage.

Ist jedes reine Orchesterstück eine Sinfonie?
Ist jedes Stück, das kein Orchesterstück ist, eine Sonate?
Sind somit auch Quartette, Quintette etc. Sonaten?


Viele Grüße, fuchs2
Martin2
Inventar
#38 erstellt: 15. Jan 2012, 20:00
Hallo Fuchs2,

zu Deinen Fragen. Nein, nicht jedes Orchesterstück ist eine Sinfonie. Es gibt auch Ouvertüren. Einmal die Ouvertüren, die als Eingang einer Oper gespielt werden, dann aber auch für sich bestehende Ouvertüren, von denen Beethoven etwa einige komponiert hat. Ouvertüren bestehen nur aus einem Satz, sind also nicht mehrsätzig. Außerdem gibt es seit Liszt den Typ sinfonische Dichtung, auch meistens einsätzig. Und schließlich gibt es die Suiten und schließlich noch die Sinfonietten. Schließlich noch die Serenaden. Und schließlich noch Divertimenti, vor allem bei Mozart.

Diese ganzen Gattungen sind im Grunde schwer gegeneinander abgrenzbar. Denn letzlich ist jeder Komponist frei, wie er sein Werk benennt. Dabei ist aber offensichtlich, daß die Sinfonie etwa ab Haydn die ambitionierteste Form ist. Serenaden, Sinfonietta und Divertimenti bedeuten in aller Regel ( diese Aussagen wird in diesem Forum vermutlich wieder auf Widerspruch stoßen) eine weniger ambitioniertes, mehr auf "Unterhaltung" gerichtetes Werk. Brahms etwa hat 20 Jahre oder so an seiner 1. Sinfonie gearbeitet, hat aber vorher zwei Serenaden geschrieben, von denen mir besonders die 1. gut gefällt. Suiten sind wieder etwas anderes. Die Suiten von Bach sind etwa dadurch gekennzeichnet, daß einer Ouvertüre eine Reihe lockerer Tanzsätze folgt. In der Barockzeit gibt es die Sinfonie noch nicht ( oder die Bezeichnung meint etwas völlig anderes), dafür gibt es dann das "Concerto Grosso", etwa bei Händel.

Was den Begriff der Sonate anbetrifft. Es gibt die Sonatensatzform, die insbesondere im ersten Satz, gelegentlich auch in späteren, etwa im Finale, Anwendung findet. Die Anwendungen dieser Sonatensatzform betrifft aber auch Sinfonien oder Streichquartette usw.

Sonaten sind in aller Regel mehrsätzige Klavierstücke, aber auch Stücke für Violine und Klavier oder ein anderes einzelnes Instrument mit dem Klavier. Streichquartette, quintette und sonstige Ensembles nennt man aber nicht Sonaten. Hier benennt man das Werk nach dem Enselmble, also ein Streichquartett spielt ein Streichquartet usw. Allerdings sind nicht alle Stücke für eine solche Besetzung auch Sonaten. Sie können, wenn sie mehrsätzig sind, auch Suiten genannt werden ( allerdings sind Sonaten die viel häufigere Form). Schließlich gibt es das Klavierstück als Einzelsatz und dann sind es keine Sonaten, sondern zum Beispiel Walzer, Improptus oder Nocturnes zum Beispiel.

Im übrigen freut es mich, daß Dir das Mendelssohn Violinkonzert gefällt, wie es der Zufall will, habe ich es mir gestern auch angehört. Wirklich ein wunderschönes Konzert!

Gruß Martin


[Beitrag von Martin2 am 15. Jan 2012, 20:03 bearbeitet]
Joachim49
Inventar
#39 erstellt: 15. Jan 2012, 20:13

fuchs2 schrieb:

Ist jedes reine Orchesterstück eine Sinfonie?
Ist jedes Stück, das kein Orchesterstück ist, eine Sonate?
Sind somit auch Quartette, Quintette etc. Sonaten?


Alle Sinfonien sind Orchesterstücke, aber nicht jedes Orchesterstück ist eine Sinfonie. Unter den Orchesterstücken gibt es neben der Sinfonie eine Vielfalt an Formen: Ouvertüren (= in der Regel orchestrales Vorspiel zu einer Oper, aber es gibt auch Ouvertüren ohne Oper), Sinfonische Dichtung, Variationen über ein Thema, Suiten, Serenaden (die beiden letzten mehrsätzig).
Eine Sinfonie hat normalerweise 4 Sätze, von denen einer (oft der 2. langsam) und der 3. ein Scherzo ist.

Wenn etwas kein Orchesterstück ist, dann ist es darum noch nicht immer eine Sonate. Sonaten sind wie Sinfonien mehrsätzig (3 oder 4). Aber auch in der Soloklavier und Kammermusik geibt es neben den Sonaten viele Formen: Variationen, Fantasien, div. Tänze, capriccios, Fugen ...
Der Ausdruck Sonate wird aber nur für Soloklavier oder Duo's verwendet (Klavier + Cello, Violine, Flöte, Klarinette, ...)

Die Sache wird dadurch komplizierter, dass viele sinfonische Stücke eine Sonatenform haben, obwohl sie keine Sonaten sind. Die klassische Sonatenform hat eine Exposition, in der die beiden Hauptthemen vorgetsellt werden. Dann gibt's die Durchführung in der die Themen verarbeitet werden (der längste und wichtigste teil), dann die Reprise (Wiederholung der Themen und am Scluss die Coda, die das Stück abschliesst. Sehr exemplarisch kann man die Sonatenform im Kopfsatz der Beethoven'schen 5. hören.
Eine Sonate ist also in der Regel in der Sonatenform geschrieben, aber auch orchesterwerke können diese Form verwenden (Haydn, Mozart, Beethoven, ..... Brahms ...)

Quartette und Quintette sind keine Sonaten, können aber von der Sonatenform Gebrauch machen. Sonaten sind immer in kleiner Besetzung (ein Klavier oder 2 Instrumente), aber die Sonatenform findet man in allen Besetzungen (Sonate, Duo, Trio, Quartett, Quintett, Sextett etc. sinfonisch Orchester.)

Diese Charakterisierung gilt in der Hauptsache für die Periode der Klassik und Romantik.

.... wahrscheinlich ziemlich verwirrend, obwohl terminologische Ausnahmen nicht behandelt sind. Der dtv Atlas Musik ist übrigens ein recht gutes kleines Nachschlagwerk für terminologische Fragen.
Freundliche grüsse
Joachim
Martin2
Inventar
#40 erstellt: 15. Jan 2012, 20:47
Ganz vergessen hatte ich, daß es bezüglich "reiner Orchestermusik" natürlich auch noch die Balette gibt. Das ist noch mal eine ganz eigene Form sinfonischer Musik. Insbesondere seit Tschaikovski hat diese Gattung einen ungeahnten Auftrieb erlebt, etwa in den Baletten von Ravel, Strawinski, Chatschaturian ( oder wie der Mann heißt) und Bliss. Also seit Tschaikovski ist das Balett ein bißchen aus der Schmuddelecke raus gekommen und beinhaltet einige Musik, die ich überhaupt nicht missen möchte.

Bei der Musik des 20. Jahrhunderts wird die Sache aber sowieso völlig unscharf. Es gibt die "Konzerte für Orchester" von Bartok und Lutoslawski, hörenswerte Werke, die aber partout keine Sinfonie mehr sein wollen.

Ansonsten ist klar: Es könnte gewisse Dinge geben, die es aber nicht gibt, allerhöchstens irgendwann im 20. Jahrhundert. Also es gibt etwa eine Menge für sich bestehender Walzer, Polkas usw von Johann Strauß in der sinfonischen Musik. In der Klaviermusik gibt es dergleichen auch, etwa die ungarischen Tänze von Brahms, dagegen habe ich nie von sagen wir mal einer für sich bestehenden Polka für Streichquartett gehört. Könnte es geben, gibt es aber anscheinend nicht.

Also ist es nicht nur wichtig zu wissen, was es gibt und eventuell geben könnte, sondern was die klassische Musik in ihren groben Zügen ausmacht. Und da ist eine Form wie die Sinfonie absolut essentiell, dergleichen die Klaviersonate und das Streichquartett. Andere Dinge sind dagegen eher Randerscheinungen, etwa wenn, wie ich neulich gesehen habe, Reger eine "Suite" für Violine und Klavier schreibt.

Gruß Martin
Kreisler_jun.
Inventar
#41 erstellt: 15. Jan 2012, 21:01
Solche Sachen sollten auch auf wikipedia usw. halbwegs ordentlich und mit Beispielen erklärt werden. "Sonate" hat eine Reihe unterschiedlicher Bedeutungen, die sich im Allgemeinheitsgrad unterscheiden. Beim Aufkommen des Ausdrucks im Frühbarock bedeutete es einfach irgendein reines Instrumentalstück, ohne dass über die Form oder die Besetzung eine Aussage gemacht würde. Im Hochbarock etablieren sich dann einigermaßen verbindliche (aber immer noch sehr flexible) Richtlinien für Typen von Sonaten als i.d.R. mehrsätziger Stücke.

Eine entscheidende Verschiebung gibt es dann in der Wiener Klassik ab Mitte/Ende des 18. Jhd, besonders jedoch in der nachträglichen musiktheoretischen Beschreibung. Nun wird nämlich Sonate als ein von der Besetzung weitgehend unabhängiges Formschema verstanden, sowohl im Sinne einer halbwegs standardisierten Abfolge von Satztypen als auch im engeren Sinne des üblichen Bauprinzips des ersten Satzes einer Sonate. In diesem Sinne sind Streichquartette usw. und Sinfonien allesamt "Sonaten, nur nennt man eben meistens heutzutage (Haydn nannte seine Klaviertrios soviel ich weiß teils noch Sonaten) nur Solo und Duosonaten explizit so, Sonaten für Orchester "Sinfonien" und sonst dient die Ensemblebesetzung auch als Gattungsbezeichnung (wie bei Streichquintett usw.)
Das Standardschema ist viersätzig, wobei besonders bei Klavier- und Kammermusik oft nur zwei oder drei Sätze vorkommen (jedenfalls bis einschl. Beethoven):

1. (evtl. langsame Einleitung) (idR) schneller Hauptsatz (in "Sonatenhauptsatzform")
2. langsamer/mäßig schneller Satz (unterschiedliche Formen, ABA', rondoartig (ABACA o.ä.), (modifiz.)Sonatenhauptsatz, Variationen)
3. schneller Tanzsatz: Menuett oder Scherzo (2. und 3. Satz "vertauscht" sein, wie in vielen Streichquartetten oder in Beethovens und Bruckners 9. Sinf.), später bei Brahms mitunter auch ein mäßig schneller intermezzoartiger Satz
4. schnelles Finale (meistens eine etwas freiere Sonatenform oder ein Rondo oder eine Mischung)

Das Schema wird auch bei den meisten Sinfonien (und Kammermusik) des 19. Jhds. noch mehr oder weniger befolgt. Leichte Modifikationen sind etwa das Weglassen des Tanzsatzes oder das Einführung eines zusätzlichen Tanz- oder langsamen Satzes. Bei den schon erwähnten Serenaden und Divertimenti des späten 18. Jhds. war solch eine Erweiterung allerdings schon gegeben.
Viele Ouverturen der Klassik und (Früh)Romantik haben ebenfalls in etwa die Form des ersten Satzes einer Sinfonie, freilich gibt es hier auch anderes.

Auch die Konzertform der Klassik und Romantik ist der "Sonatenform" eng verwandt. Zum einen ist der gewichtige erste Satz normalerweise in einer (grob gesagt) modifizierten Sonatenhauptsatzform gehalten, zum anderen entsprechen der gewöhnlich langsame Mittelsatz und das schnelle Finale oft in etwa den entsprechenden Charakteren des Schemas oben. In der Romantik gibt es auch vereinzelt Konzerte, die einen Scherzo-Satz hinzufügen (Saint-Saens, am berühmtesten Brahms 2. Klavierkonzert.

Ähnliches gilt für "sinfonia". Im 17. Jhd. nennt Schütz geistliche Vokalwerke mit Instrumentalbegleitung "Symphonia sacra", bis Mozart oder Rossini heißt eine Opernouverture "sinfonia". Inzwischen ist die Standardbedeutung aber die eines mehrsätzigen Orchesterwerkes.
Kreisler_jun.
Inventar
#42 erstellt: 15. Jan 2012, 21:08
Es gibt ziemlich sicher hunderte von Tänzen wie Polkas oder Walzer für Streichquartett o.ä. Besetzungen. Die meisten vielleicht Arrangements, bestimmt aber auch Originalkompositionen. Nur kennen wir von diesen Gebrauchskompositionen heute normalerweise kaum noch etwas...
Martin2
Inventar
#43 erstellt: 15. Jan 2012, 21:48
Hallo Kreisler Jr.,

das mag alles sein. Wie heißt es so schön: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Im übrigen gebe ich Dir auch recht, man kann so etwas bei Wikipedia oder so nach sehen. Was einem ein solches Lexikon allerdings nicht immer vermittelt, ist die Gewichtigkeit von bestimmten Formen oder Bezeichnungen. Möglicherweise gibt es sogar Polkas für Orgel, nicht einmal das würde ich ausschließen.

Ich finde es trotzdem gut, das Fuchs2 gefragt hat, auf diese Weise erhält er ein Gefühl für die Wichtigkeit und Bedeutung von Dingen, die man nur aus einem persönlichen Gespräch erhält. Wichtigkeit beinhaltet nämlich eine durchaus persönliche Wertung. Diese persönliche Wertung beinhaltet wohl bei den meisten hier die zentrale Wichtigkeit der Sinfonie für die sinfonische Musik. Wobei "sinfonische Dichtungen" eben auch ein sehr gewichtiger Teil der sinfonischen Musik ausmacht. Auch hier gibt es viel: Liszt natürlich, aber dann auch Dvorak, Sibelius und natürlich die berühmten sinfonischen Dichtungen von Richard Strauss, auch Tschaikovski hat einige geschrieben.

Man kommt dann zu Bewertungen und zu Gewichtungen. Auch zu faszinierenden Überschneidungen. So war der spätere 1. Satz von Mahlers 2. Sinfonie wohl ursprünglich eine sinfonische Dichtung, benannt "Die Totenfeier". Auch der 1. Satz seiner 3. Sinfonie soll weitestgehend einem Programm gefolgt sein. Man sieht aber daraus die Unschärfe von Bezeichnungen. Mahlers Sinfonien haben auch teilweise 5 oder 6 Sätze.

Für all das wird Fuchs 2 sicherlich mit der Zeit ein persönliches Gefühl entwickeln.

Gruß Martin
Kreisler_jun.
Inventar
#44 erstellt: 15. Jan 2012, 22:45
Fuchs2, was mir aus deinem Eingangsposting noch nicht so recht klar ist, ist die Motivation. Dort schreibst Du zwar von einigen Werken, die Dir gefallen haben, wobei ich nicht ganz verstehe, ob Du die vorher kanntest oder erst kennengelernt hat, nachdem Du beschlossen hast, Klassik zu hören...
Aber warum und woher der systematische Anspruch?

Nicht nur aus Neugierde, sondern auch, weil das schon weiterhilft bei Empfehlungen und Hinweisen.
fuchs2
Stammgast
#45 erstellt: 16. Jan 2012, 04:03
Hallo,
tausend Dank, das sind ja ziemliche viele Infos, die ich erstmal nur grob überflogen habe. Werde mich dann noch genauer damit auseinandersetzen.

Kurz zu Kreislers Fragen:




Fuchs2, was mir aus deinem Eingangsposting noch nicht so recht klar ist, ist die Motivation. Dort schreibst Du zwar von einigen Werken, die Dir gefallen haben, wobei ich nicht ganz verstehe, ob Du die vorher kanntest oder erst kennengelernt hat, nachdem Du beschlossen hast, Klassik zu hören...


Diese CDs waren meine erste Bestellung, ich kannte sie vorher nicht. Die Auswahl erfolgte ohne "direkte Beratung", nur durch lesen hier im Forum und im Internet.


Aber warum und woher der systematische Anspruch?


Naja, ich bin Wassermann, ich strebe nach Übersicht... ;-)
Vielleicht spielt da auch ein bisschen mit rein, dass ich durch ein geisteswissenschaftliches Studium darauf getrimmt bin, mir Themenfelder eher systematisch zu erschließen. Ich möchte eben nicht nur ein wenig neue Musik hören, die mir gefällt, ich möchte das alles auch einordnen können, zumindest grob.

Viele Grüße, fuchs2
Martin2
Inventar
#46 erstellt: 16. Jan 2012, 09:24
Hallo Fuchs 2,

na ja, "Systematik" muß nicht sein. Anderseits war Deine Frage, ob denn alle rein sinfonische Musik Sinfonie genannt werden darf sozusagen auch - nimms mir nicht übel, ich meine es nicht böse, ich meine es gut - von einer sozusagen entzückenden Naivität.

Denn so könnte man wohl denken, wenn man zum Beispiel die große Karajan "Sinfonie Edition" oder die für mich höchst reizvolle große Bernstein Box kauft.

In Wahrheit liegt die Sache eben völlig anders. Die Sinfonie ist eher sozusagen der "heilige Gral" der Sinfonik oder der Kunstmusik. Also ein Werk, das ausgehend von dem späten Haydn, dem berühmten Tryptichon von Mozart und den Sinfonien von Beethoven für die höchsten künstlerischen Weihen steht.

Mit dieser Tatsache sind Komponisten höchst individuell umgegangen. Da gibt es jene, die mit dieser Tatsache bis ins letzte gerungen haben. Brahms hat an seiner 1. Sinfonie m.W. 15 oder sogar 20 Jahre gearbeitet - und während dieser Zeit etliche andere Musik geschrieben. Bruckner war schon ein ziemlich alter Mann als er seine erste Sinfonie schrieb und das war dann auch nur eine "Studiensinfonie". Eine weitere Sinfonie, die eigentlich seine 2. werden sollte - weiß Gott keine schlechte Musik - hat er annuliert.

Andere Komponisten waren nicht ganz so skrupulös. Schubert, Tschaikovski oder Dvorak haben ein paar frühe Sinfonien geschrieben, die nicht ganz so gut sind, aber ihre späten Sinfonien sind großartig.

Diese Tatsache der Sinfonik als "heiligem Gral" hat jedoch zu gewissen Konsequenzen geführt, nämlich daß es einige durchaus gute Musik gibt von Komponisten, die einfach außerhalb der Sinfonie mit einer gewissen Unbefangenheit komponieren wollten. Und dann haben sie halt Serenaden geschrieben wie Brahms, Suiten und Ballette wie Tschaikovski, Sinfonische Dichtungen wie Dvorak. Und das ist teilweise großartige Musik, teilweise auch nicht so. Hörte neulich den Nußknacker von Tschaikovski; da sind gute Stücke dabei die ich noch nicht kannte, anderes ist aber auch reichlich gewöhnlich - Tschaikovski hätte solche Sätze im Traum nicht in einer Sinfonie verwendet.

Umgekehrt mag es auch Komponisten geben, die kaum solche Skrupel hatten und jeden Fliegenschiß gleich als Sinfonie bezeichneten, weil es halt so gut klang.

Ebenfalls muß man in der Kammermusik sehen, daß das Streichquartett als besondere Kammermusikgattung auch einen Nimbus hatte oder sogar hat, die Komponisten immer zu ambitionierten Werken trieb und das hat, ausgehend von Haydn, den späten Mozartquartetten und insbesondere auch den Beethovenquartetten auch Tradition.

Für alle solche Dinge bekommst Du möglicherweise noch ein Feeling, wenn Du länger Musik hörst.

Gruß Martin
flutedevoix
Stammgast
#47 erstellt: 16. Jan 2012, 10:16

Diese Tatsache der Sinfonik als "heiligem Gral" hat jedoch zu gewissen Konsequenzen geführt, nämlich daß es einige durchaus gute Musik gibt von Komponisten, die einfach außerhalb der Sinfonie mit einer gewissen Unbefangenheit komponieren wollten. Und dann haben sie halt Serenaden geschrieben wie Brahms, Suiten und Ballette wie Tschaikovski, Sinfonische Dichtungen wie Dvorak. Und das ist teilweise großartige Musik, teilweise auch nicht so. Hörte neulich den Nußknacker von Tschaikovski; da sind gute Stücke dabei die ich noch nicht kannte, anderes ist aber auch reichlich gewöhnlich - Tschaikovski hätte solche Sätze im Traum nicht in einer Sinfonie verwendet.


Das stimmt so nicht ganz! Gerade im 19. Jahrhundert sind die Gattungsbegriffe eben nicht bedenkenlos austauschbar wie z.T. Im 17. Und 18. Jh.!

Eine Serenade meint dabei grundsätzlich etwas anderes als eine Sinfonie. Sieht man sich die bekanntesten Serenaden (Brahms, Dvorak, Tschaikowski, Elgar) an, dann sind das Werke mit oft reduzierter Besetzung (nu Streicher oder nur Bläser). Zudem ist die motivische Arbeit durchaus nicht so ausgedehnt wie in Sinfonie Sätzen, die Werke sollen eben gemäß ihre Titel einen eher wie auch immer gearteten Unterhaltungs-Anspruch haben, keine existentielle Musik wie sie in der Sinfoniemdes 19. Jh. An der Tagesordnung war.

Sinfonische Dichtungen haben immer einen programmatischen Hintergrund. Der mag nun minutiös abgearbeitet werdende in Till Eulenspiegels lustigen Streichen von Richard Strauß oder eher im Sinne Bonn Beethovens berühmten Postulat mehr als zugrundeliegende emotionale Haltung gedeutet werden. Aber auch dies Form ist keine Sinfonie light, sondern verwirklicht einen anderen Ansatz

Schließlich noch die Ballette. Diese sind keine per se sinfonische Musik sondern Tanzmusik! Das wird heute gerne vergessen, weil eben die Musik meistens via CD-Player ohne die entsprechende Choreographie goutiert wird. Das aber wird dem Werk nicht gerecht. Das ist genauso wenig sinfonische Musik wie Wagners reine Orchesterstücke im Ring, sondern dramatische, im Rahmen der musikalischen Großformmzweckgebunden Musik. Daß es dabei auch Stücke gibt, die vielleicht nicht auf allerhöchstem Niveau stehen, mag sein. Im Falle des Nußknackers kann ich aber nicht bestätigen, daß mir dieses im Rahmen einer Aufführung mal aufgefallen wäre. Letztendlich hat es ja aber seinen Grund, daß die berühmten Suiten nach den Baletten entstanden sind: eine Arrangement für den Konzertbetrieb!
Martin2
Inventar
#48 erstellt: 16. Jan 2012, 20:43
Hallo Flutedevoix,

na ja für mich gibt es nur eine wesentliche Unterscheidung: Gute und schlechte Musik. Daß Ballettmusik wie Opernmusik wie auch Sinfonik für einen bestimmten Zweck geschrieben wurde ändert daran für mich nichts. Und ja, die Musik zum Nußknacker ist großartig; ich kannte bisher nur die Suiten, aber beim reinhören in die gesamte Musik habe ich festgestellt, daß es da noch ganz andere Musik gibt, die auch großartig ist. Aber eben auch ein paar schlechtere Stücke.


Diese sind keine per se sinfonische Musik sondern Tanzmusik! Das wird heute gerne vergessen, weil eben die Musik meistens via CD-Player ohne die entsprechende Choreographie goutiert wird. Das aber wird dem Werk nicht gerecht.


Doch das wird für mich dem Werk gerecht. Eine Musik, die viel Rumgehampel braucht, um zu "wirken" kann für mein Gefühl nicht viel taugen. Und es gibt einige geniale Balletmusik, die die Aufführung im Konzertsaal auch locker aushält, so viele Ballette von Ravel und Strawinski.

Damit will ich nicht übers Ballett lästern, auch das mag eine Kunstform sein. Aber ich bin sehr mißtrauisch dahingehend, daß eine Musik als Musik noch irgendetwas anderes braucht um zu wirken. Gute Musik zeichnet sich gerade dadurch aus, daß sie evokativ ist, nicht daß sie Evokationen braucht. Der Otello von Verdi ruft bei mir die ganze Verzweiflung von Otello hervor. Die Theodora von Händel ist teilweise so bildlich, daß ich, obwohl ein Oratorium, ein innerliches Bühnenbild geradezu vor mir sehe. Auch Ballette sollten die Atmosphäre, die schildern, gewissermaßen evozieren, man sollte den Tanz förmlich vor sich sehen, auch ohne einer Ballettaufführung beizuwohnen. Und gute Ballettmusik schafft das auch.

Gruß Martin
flutedevoix
Stammgast
#49 erstellt: 16. Jan 2012, 21:21
Lieber Martin,

das Ballett ist wie die Oper ein Gesamtkunstwerk. Und es ist und bleibt nun einmal Tanzmusik. Daher kann man auch nicht bei einem Ballett des 19. Jh die gleichen kompositorischen Maßstäbe und Ausdrucksmittel anlegen und erwarten wie bei einer Sinfonie dieses Jahrhunderts.
In mancherlei Hinsicht giltmdies auch noch für die Ballettmusik des 20. Jahrhunderts. Strawinsky war ja zeitlebens mit den Choreographien zu seinem Sacre unzufrieden und kam, meine ich, sinngemäß mal zum Schluß, daß er da doch keine tanzbare Musik geschrieben hat.

Es hat ja seinen Grund, warum Balettsuiten entstanden: eben um eine Aufführung im Konzertsaal, die den dramatischen Inhalten der Musikmgercht wird, zu ermöglichen. Das hat ja seinen Sinn. Und diese Suiten brauchen in der Tat keine Bühnenhandlung, um zu überzeugen. Man kann einfach nicht Musik losgelöst von ihrer Bestimmung und damit einhergehenden Bewandnissen betrachten. Da greife dann auch Bewertungen, wie "gut" und "schlecht" zu kurz. Tschaikowski hat ja seine Ballettmusik nie zu einer Aufführung in voller Länge mit allen Nummern ohne den Tanz zu Disposition gestellt. Das ist in dieser Form eine Erfindung des 20. Jahrhunderts und eine Begleiterscheinung des Tonträgermarktes.


[Beitrag von flutedevoix am 16. Jan 2012, 21:24 bearbeitet]
Kreisler_jun.
Inventar
#50 erstellt: 17. Jan 2012, 11:23
Unter "Tanzmusik" würde ich allerdings erst einmal Musik zu Gesellschaftstänzen o.ä. verstehen. Ich habe mich nie näher damit befasst, aber schon Tschaikowskys Ballette haben m.E. duchaus "sinfonische" Abschnitte, wobei sicher oft noch ein Unterschied im Anspruch bestehen mag.
Und natürlich kann man fehlgehen, wenn man Ansprüche absoluter Musik an dramatisch-illustrative Musik wie Oper und Ballett heranträgt.
Andererseits ist es sicher kein bloßer Zufall, dass eine Reihe der (rein musikalisch) einflussreichsten, gelungensten und kühnsten Musikstück der beginnenden Moderne Ballette oder Ähnliches gewesen sind (und keine Sinfonien!). Außer Stravinsky könnte man hier auch Bartok, Prokofieff, Debussy und Ravel und sicher noch einige weitere nennen.
Wilke
Inventar
#51 erstellt: 17. Jan 2012, 12:37
Gibt es nicht auch im Barock "Tanzmusik", die wir heute nur wegen der schönen Musik hören?

Kann man Choralvorspiele mit der Orgel nicht nur wegen der Musik hören, weil es einem gefällt?

Muss ich mich mit Dadismus auseinerandersetzten, um Satie gerne anzuhören?

gruß Wilke
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